Am Grab des Großvaters

Enkelin von Simon Mayer und Bernhard Fulder kam aus Jerusalem nach Treuchtlingen

mayer weklog

Mirjam und Dr. Michael Riegler legen nach jüdischer Tradition kleine Steine auf den Grabstein von Großvater Simon Mayer und sprechen Psalmgebete. Deutlich erkennt man oben auf dem Grabstein den Krug als Zeichen der Leviten, die sich dem Dienst in der Gemeinde widmen.

 

Vor über 70 Jahren hatten die Nazis sie, ihre Eltern und Verwandten aus Treuchtlingen vertrieben. Jetzt stand Mirjam Riegler, geb. Mayer aus Jerusalem erstmals auf dem jüdischen Friedhof von Treuchtlingen an den Gräbern ihrer Großeltern Simon und Regina Mayer, ihres Urgroßvaters Abraham Hirsch Meyer und ihres Onkels Siegfried Mayer.
Auf Einladung der Stadt Treuchtlingen und des Arbeitskreises 9. November waren Mirjam Riegler und ihr Mann Dr. Michael Riegler zu einem Kurzbesuch nach Treuchtlingen gekommen. Dr. Riegler war mit seiner Frau zu einem Treffen ehemaliger jüdischer Bürger nach Wien geflogen; seine Vorfahren stammen aus dem Burgenland. Mit der Bahn unternahmen das Ehepaar einen eintägigen Abstecher nach Treuchtlingen.
Das letztes Jahr im wek-Verlag erschienene Buch über “Jüdisches Leben in Treuchtlingen” und das wachsende jüdische Denkmal hat auch in Jerusalem bei ehemaligen Treuchtlinger Juden und ihren Nachkommen erstaunliche Resonanz gefunden.
Der Familie väterlicherseits von Mirjam gehörte die Lebensmittel- und Tabakwarengroßhandlung A. H. Meyer in der Hauptstraße 16 (heute Ärztehaus), bis nach dem 1. Weltkrieg auch ein Bankhaus. Großvater Simon Mayer hatte das Geschäft seines Schwiegervaters Abraham Hirsch Meyer weitergeführt. Vater Albert und dessen Bruder Moritz waren die letzten Besitzer vor der sogenannten Arisierung durch die Nazis. Zum Geschäftshaus gehörte auch ein mächtiger Stadel, heute die Stadtbücherei. Unmittelbar daneben entsteht das Denkmal für die ehemaligen jüdischen Bürger. Einer der vier ersten Sterne, die am Sonntag, 8. November übergeben werden, trägt den Namen Mayer. Die Familien hatten sich über Generationen hinweg um die jüdische Kultusgemeinde von Treuchtlingen verdient gemacht und ihr gedient. Das Grab Simon Mayers zeigt einen Krug als Zeichen der Leviten, denen die Dienste in der Gemeinde oblagen.
Die Familien Mayer wohnten seit den 1920ern in einer ansehnlichen Villa in der Wettelsheimer Straße. Dort schlugen die SA-Horden in den frühen Morgenstunden des 10. Novembers 1938 alles kurz und klein. Daran kann sich Mirjam Riegler nicht mehr erinnern, nur dass sie am Abend zuvor mit Schuhen ins Bett gehen musste; das Unheil zeichnete sich ab. Vater und Onkel kamen ins KZ Dachau, um sie gefügig für den Verkauf ihrer Häuser und der Firma zu machen. Die Familien flüchteten zunächst nach München, nach der Freilassung der Väter und dem Zwangsverkauf von Hab und Gut nach Palästina. Brüder von Albert und Moritz Mayer, die sich rechtzeitig in die Niederlande und später nach England abgesetzt hatten, ermöglichten ihnen Anfang 1939 die Ausreise aus Nazi-Deutschland genau an dem Tag, an dem Mirjam vier Jahre alt wurde.
Ihr Großvater mütterlicherseits war der geachtete jüdische Hauptlehrer Bernhard Fulder. Er wohnte und unterrichtete in der jüdischen Schule gegenüber dem Schloss. Sichtlich bewegt sah Mirjam den Schulsaal ihres Großvaters, seine Wohnräume, die heute die farbkräftigen Bilder von Eduard Raab schmücken. Als die Stadt 1935 das jüdische Schulhaus für das nahe Reichsarbeitsdienstlager konfiszierte, wohnten die Fulders im Schloss, bevor sie am 10. November 1938 unter Schlägen zum Treuchtlinger Bahnhof getrieben wurden. Bernhard Fulder starb im südfranzösischen KZ Gurs, die beiden Söhne in Auschwitz, seine Frau und die beiden Töchter gelangten nach Palästina.
Enkelin Mirjam wurde Lehrerin wie ihr Großvater Bernhard. Sie heiratete den Lehrer Michael Riegler, der als österreichischer Jude eine abenteuerliche Einwanderungsgeschichte hinter sich hatte. Michael Riegler promovierte später über jüdische Handschriften im Mittelalter und wurde Direktor der jüdischen Bibliothek an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Er zeigte großes Interesse für die Beschreibung des Treuchtlinger Friedhofs von Bernhard Fulder, die dieser 1937 angefertigt hatte. Davon gibt es nur einige Kopien in Staatsbibliotheken.
In den Burgstuben hieß Bürgermeister Werner Baum das Ehepaar Riegler in einem kleinen Kreis offiziell willkommen in Treuchtlingen und überreichte ein Gastgeschenk. Familienfotos und alte Bilder aus Treuchtlingen machten die Runde. Bei den Gesprächen und Erinnerungen wurde das düsterste Kapitel der Treuchtlinger und deutschen Geschichte nicht ausgeklammert. Nach kaum 24 Stunden in Treuchtlingen zeigten sich Mirjam und Dr. Michael Riegler dankbar für die – wie sie immer wieder betonten – warmherzige Aufnahme in der Stadt.

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