Die Reise nach Jerusalem

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“Treuchtlinger-Treffen” in Jerusalem mit 23 Ehemaligen, Kindern, Enkeln, Ehepartnern

Zu einem offiziellen Besuch reisten Bürgermeister Werner Baum, Stadtrat Stefan Fischer und Verleger Walter E. Keller im Juni 2010 für fünf Tage nach Israel. Die Begegnung in Jerusalem mit vielen Menschen, die ihre Wurzeln in Treuchtlingen haben, war für sie ein eindrückliches Erlebnis. Die Offenheit der Begegnung und zugleich die Verbundenheit mit Treuchtlingen, die sie von ehemaligen Treuchtlinger Juden, ihren Angehörigen und Nachkommen erfahren haben, werden sie nicht vergessen, ebenso wenig die Besuche der heiligen Stätten in Jerusalem, Bethlehem, Nazareth und am See Genezareth.

Vor genau 30 Jahren besuchten Amram Kurzweil und seine Frau Sigrid als erste Gäste nach der schrecklichen Zeit Treuchtlingen. Amram, der in Deutschland Adolf hieß, war der Sohn des letzten Treuchtlinger jüdischen Kantors Moses Kurzweil. Das Ehepaar war offiziell von der Stadt eingeladen worden. Auch sein Bruder Isi Kurzweil kam 1984 mit seiner Frau nach Treuchtlingen. Beide hatte zuvor Walter Keller in Israel bei einer Journalistenreise getroffen. In einem Schreiben an den damaligen Bürgermeister Hans Döbler wünschte sich Amram Kurzweil, dass diese alt-neuen Beziehungen aufrecht erhalten werden.

Ein Zufall war damals im Spiel, als bei einem Geschäftskontakt die gebürtigen Treuchtlinger Fritz Dollhopf und Amram Kurzweil aufeinander trafen und die gegenseitigen Besuche auslösten. Auch eine Reisegruppe der evangelischen Kirchengemeinde unter Leitung von Pfarrer Reinhard Schmitz besuchte 1984 Israel und traf mit den Kurzweil-Brüder zusammen.
Dann gab es 25 Jahre lang keine offiziellen Beziehungen mehr zu den ehemaligen Treuchtlinger Bürgern.

Es war wieder einem Zufall zu verdanken, das es erneut intensive Kontakte zwischen Treuchtlingen und den einstigen jüdischen Bürger und deren Nachfahren in Israel gibt. Yehezkel Naumburg besuchte 2008 mit seiner Familie Treuchtlingen. Auf der Straße fragte er die Frau eines Treuchtlinger Arztes nach dem Haus seiner Vorfahren. Die konnte ihm zwar nicht weiterhelfen, aber ließ sich seine Visitenkarte geben. Bei einer Israel-Reise mit der katholischen Pfarrgemeinde im gleichen Jahr nahm sie in Jerusalem telefonisch Kontakt mit ihm auf. Ein Treffen scheiterte am engen Zeitplan der Treuchtlinger Reisegruppe. Wieder zu Hause, sandte sie ihm jedoch das soeben erschienene Buch “Jüdisches Leben in Treuchtlingen”.

Dieses Buch machte die Runde unter den ehemaligen Trechtlingern in Jerusalem und ihren Nachkommen. Es entwickelte sich ein lebhafter Austausch per Telefon und E-Mail mit den Jerusalemern. Zeitgleich wuchs in Treuchtlingen das Denkmal für die ehemaligen jüdischen Mitbürger. Im Sommer 2009 wurde die vom Lions Club Altmühltal gesponserte Grundstele übergeben, im November kamen dann die ersten Sterne der Erinnerung aus Spenden von Bürgern, Firmen und Institutionen hinzu.

Aus diesem Anlass besuchte Mirjam Riegler, geb. Mayer, die in Treuchtlingen ihre ersten Lebensjahre verbracht hatte, nach über 70 Jahren wieder Treuchtlingen. Sie wurde von ihrem Mann Dr. Michael Riegler begleitet. Das Ehepaar wurde von Bürgermeister Werner Baum in den Burgstuben empfangen.

Der vielfach ausgesprochenen Einladung nach Jerusalem folgten jetzt Bürgermeister Baum, Stadtrat Fischer, der sich im Arbeitskreis “9.November” besonders für das Denkmal engagiert hatte, und der Herausgeber dieses Buches über die jüdische Gemeinde, Walter E. Keller, der die Reise auch arrangiert hatte.

Zu der Begegnung in einem Café in der neuen Jerusalemer Prachtmeile Mamilla Street waren 23 ehemalige Treuchtlinger bzw. ihre Kinder, Enkel und sonstigen Anverwandten aus den Familien Mayer, Fulder, Naumburg und Bürger gekommen. Sigrid Kurzweil, die Witwe von Amram Kurzweil, war eigens mit dem Taxi aus Nethanja an der Küste nach Jerusalem angereist.

Abraham Mayer, 1927 in Treuchtlingen als Alfred Hugo geboren, hielt die offizielle Begrüßungsansprache. Der 83-Jährige, der 1938 nach der Reichspogromnacht mit seiner Familie geflohen war, kann sich noch gut an die bösen Zeiten erinnern. Wörtlich sagte er: “Man kann sich nicht vorstellen, wie schlimm der Antisemitismus in Treuchtlingen war. Es gab nur wenige, die menschlich waren.” So schickte ein ehemaliger Angestellter seines Großvaters der nach Berlin geflohenen Familie Lebensmittelpakete. Er durfte es aber nicht wagen, die Sendungen in Treuchtlingen aufzugeben, sondern musste dies von einem Nachbarort aus tun.

In seiner Antwort zeigte sich Bürgermeister Baum sehr berührt von dieser Begegnung. Ihm liege es am Herzen, die alt-neuen Beziehungen zu den ehemaligen Treuchtlingern und ihren Angehörigen wieder aufzunehmen. Wichtig sei es ihm auch, dass mit dem wachsenden Denkmal an die ehemaligen Treuchtlinger erinnert wird, “die Jahrhunderte unter uns gelebt und viel zum Wachsen von Treuchtlingen beigetragen haben”. Er lud alle Treuchtlinger in Jerusalem offiziell zu einem Besuch ein. Bei den Gesprächen wurde deutlich, dass viele von ihnen immer wieder einmal in der Stadt waren, den Friedhof besucht hatten, aber keinen Ansprechpartner kannten oder fanden. Das ist jetzt anders geworden. Beim Austausch von Gastgeschenken brachte es Dr. Michael Riegler auf den Punkt: “Wir sind schon gute Freunde geworden.”

Übergabe BuchEine solche Äußerung kommt unerwartet – angesichts der Last der Geschichte. Deutlich wurde dies den Reisenden nach Israel insbesondere bei einem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. In deren Archiv zeigte ihnen Dr. Jacob Borut nicht nur das Gästebuch von Auschwitz-Kommandant Rudolf Höss, sondern auch die Original-Aufzeichnungen von Moritz Mayer über die ihm in Treuchtlingen und im KZ Dachau widerfahrenen Gräuel. Das erschütternde Dokument ist im Wortlaut in diesem Buch ab S. 137 abgedruckt. Herausgeber Keller übergab sein Werk offiziell an die Bibliothek von Yad Vashem.

Moritz Mayer gehörte zu der weitverzweigten Unternehmerfamilie, die in der Hauptstraße ein Bankhaus und Großhandelsgeschäft unterhielt. Die heutige Stadtbücherei, neben der das Denkmal steht, war ihr Lager. Moritz ist der Vater von Abraham Mayer, der die Gäste sehr warmherzig begrüßte, obwohl er als Junge Demütigungen in Treuchtlingen erfahren musste.

Tal der GemeindenDie mitgebrachten Fotos vom wachsenden Treuchtlinger Denkmal und von der neuen jüdischen Abteilung im Volkskundemuseum fanden große Aufmerksamkeit in Jerusalem. Aber auch dort wird an Treuchtlingen erinnert. Im Tal der Gemeinden in Yad Vashem finden sich in einem Steinlabyrinth die Namen von über 5000 jüdischen Gemeinden, die während des Holocausts vernichtet wurden. Hier ist der Schriftzug “Treuchtlingen” in deutscher und hebräischer Sprache in Stein gemeißelt.

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